Interview mit Prof. Ralph Eichler, Präsident der ETH Zürich, und Dr. Christine Bratrich, Geschäftsführerin ETH Sustainability.
Text: Dr. Cornelia Bachmann (aus Umweltbericht der ETH Zürich 2008)
Herr Eichler, Frau Bratrich, was hat die ETH Zürich bisher im Bereich Nachhaltigkeit geleistet?
Ralph Eichler: Das grösste Nachhaltigkeitsprojekt der ETH Zürich ist Science City. Durch den Ersatz fossiler Brennstoffe im neuen Campus erreichen wir eine massive Reduktion der CO2-Emissionen. Einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet auch das Kompetenzzentrum Umwelt und Nachhaltigkeit (CCES), das unter Federführung der ETH Zürich 2006 gestartet wurde. Seine Forschungsprojekte befassen sich interdisziplinär mit Themen der Nachhaltigkeit.
Christine Bratrich: Zudem hat die ETH Zürich bereits vor 20 Jahren mit dem Aufbau des Departements für Umweltnaturwissenschaften eine Vorreiterrolle bezüglich Nachhaltigkeit übernommen. Lehre und Forschung sind fächerübergreifend ausgerichtet und die Studierenden lernen in Systemen zu denken. Sie beschäftigen sich nicht nur mit technischen, sondern auch mit sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen.
Hat die Definition von Nachhaltigkeit, wie sie zum Beispiel im Brundtland-Report von 1987 festgehalten ist, heute noch Gültigkeit?
Eichler: Definitionen zum Thema Nachhaltigkeit halte ich generell für problematisch. Wir wollen nicht Definitionen erfüllen, sondern Probleme lösen. Ein wesentliches Ziel der Nachhaltigkeit muss sein, Materialflüsse zu minimieren, die zum Beispiel den Ausstoss von Treibhausgasen verursachen. Auch Nuklearabfälle und die Asche aus der Kehrichtverbrennung sind sicher zu entsorgen und das Recycling im Agrarsektor nachhaltig zu gestalten. Nachhaltigkeit wird meines Erachtens zu sehr auf die Energieversorgung reduziert. Energieverbrauch an sich ist nicht schlecht. Wir sollten aber nicht mehr Ressourcen verbrauchen als nachwachsen und müssen sparsamer mit diesen umgehen. Nachhaltigkeit betrifft übrigens auch die Raumplanung. Wenn Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Kultur am selben Ort stattfinden, lässt sich dadurch die Mobilität reduzieren.
Bratrich: Auch ich bin der Meinung, dass Nachhaltigkeit leben und Beispiele setzen wichtiger ist als Theorie.
Herr Eichler, was wollen Sie mit der Geschäftsstelle für Nachhaltigkeit an der ETH Zürich erreichen?
Eichler: Die Geschäftsstelle soll in erster Linie die zahlreichen Aktivitäten an der ETH Zürich koordinieren und Doppelspurigkeiten vermeiden. Sie hat zudem die Aufgabe, die Zusammenarbeit zu fördern, was sicherlich nicht einfach ist. Auch den Outreach, das heisst die Kommunikation rund um das Thema Nachhaltigkeit, soll die neue Stelle verbessern. Im Weitern wollen wir die Studierenden mehr einbinden und ihre Meinung zu Themen der Nachhaltigkeit im Unterricht einholen.
Frau
Bratrich, was hat Sie dazu motiviert, die Geschäftsleitung der neuen
Stelle für Nachhaltigkeit zu übernehmen, und was sind Ihre Ziele?
Bratrich: Die
ETH Zürich ist eine der weltweit bedeutendsten technischen Hochschulen.
Hier treffen sich Menschen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und
Regionen dieser Erde. Gemeinsam ergibt dies ein faszinierendes
Potenzial, um nachhaltige Lösungen für die brennenden Probleme unseres
Planeten zu entwickeln. Diese Vielfalt der Ideen und Menschen motiviert
mich sehr. Zudem ist das Thema Nachhaltigkeit an der ETH in der
Strategie verankert und meine Stelle direkt dem Präsidium unterstellt.
Das gab mir die Sicherheit, dass Nachhaltigkeit an der ETH Zürich kein
Lippenbekenntnis ist und ich etwas bewegen kann. Mein nächstes Ziel
ist, das Thema Nachhaltigkeit und die vielen spannenden Aktivitäten der
ETH Zürich besser sichtbar zu machen. Ich möchte die Vernetzung der
engagierten Leute an der ETH Zürich vorantreiben sowie verschiedene
Ausbildungs- und Forschungskulturen zusammenführen, so dass für alle
ein Mehrwert entsteht. Wichtig sind mir aber auch Aktivitäten, die
direkt an der ETH Zürich umgesetzt werden, wie beispielsweise die
Entwicklung von Science City oder studentische Projekte wie Ecoworks.
Wie ist Ecoworks bei den Studierenden angekommen?
Bratrich: Die Studierenden sind sehr motiviert. Sie erhalten für ihre Projekte die volle Unterstützung der ETH Zürich und auch die nötige Wertschätzung. Die Ideen, die sie kreieren, sind nicht Selbstzweck, sondern zielen auf eine praktische Anwendung hin – zum Beispiel in den Mensen, wo wir versuchen, durch ein breiteres Angebot an fleischlosen Menüs den CO2-Ausstoss zu reduzieren.
Eichler: Aufgabe der ETH Zürich ist es auch, unternehmerisches Denken zu fördern. Eine Idee nützt nichts, wenn sie nur Theorie bleibt. Ecoworks ist eine ideale Plattform für die Studierenden, um ihre Ideen in der Praxis zu erproben.
Unterscheidet sich Nachhaltigkeit an der Hochschule von der Nachhaltigkeit eines Unternehmens aus der Wirtschaft?
Eichler: Im Prinzip nicht. Einzig, dass bei uns als wichtige Säule die Ausbildung hinzukommt.
Bratrich: Eine Hochschule lebt vielleicht stärker von der Vielfalt der Ideen. Es geschieht vieles buttom up, nicht nur top down.
Eichler: Die eigentlichen Ziele betreffend Nachhaltigkeit sind allerdings nicht anders als in einem Unternehmen.
Bratrich: Unser
zentraler Wert ist, dass die Lehre Einfluss nimmt, wie die Leute denken
und wie sie später arbeiten. Es braucht vielleicht 10 bis 20 Jahre
Entwicklungszeit, bis dies spürbar wird und die Absolventinnen und
Absolventen wichtige Entscheide treffen, die der Nachhaltigkeit
verbunden sind.
Welche Strategien und Vorgaben gibt es für die Forschung bezüglich Nachhaltigkeit?
Eichler:
Es sind die gleichen Qualitätsstandards wie für die übrige Forschung.
Früher hat man versucht, gewisse eigene Kriterien für die
Nachhaltigkeit in der Forschung zu entwickeln. Heute wird die Forschung
an der ETH Zürich jedoch auf allen Gebieten mit gleichen Ellen gemessen.
Bratrich: Forschung soll frei sein und keine Vorgaben haben. Es gibt allerdings gewisse Anreizsysteme, «Forschungstöpfe», um interdisziplinäre Projekte zur Nachhaltigkeit zu fördern.
Eichler: Der Anreiz soll aber auch hier vorrangig sein, mit anderen zusammen ein komplexes Problem zu lösen. Das Geld darf nicht im Zentrum stehen; wichtig sind Idee und Vision des Forschungsprojekts. Wenn diese nicht stimmen, soll auch kein Geld fliessen.
Bratrich: Nachhaltig ist auch, wenn Ideen aus Forschung und Lehre in die Wirtschaft weitergetragen werden. ETH Seed Sustainability und ETH Transfer sind erfolgreiche Vehikel für diesen Prozess.
Wo sehen Sie an der ETH Zürich das grösste Potenzial, um die Nachhaltigkeit zu verbessern?
Eichler: Das grösste Potenzial liegt in der Ausbildung von zukünftigen Entscheidungsträgern. Wir wollen Nachhaltigkeit umfassend in allen Gebieten vermitteln. Man vergisst manchmal, dass viele Errungenschaften dieser Welt durch Ingenieure geschaffen werden: Handys, Computer, Autos ... Und alles landet dereinst auf der Abfallhalde. Auch der Lebenszyklus soll deshalb bei der Entwicklung neuer Technologien berücksichtigt werden.
Bratrich: Das heisst nun aber nicht, dass Nachhaltigkeit mit dem Holzhammer in jeder einzelnen Lehrveranstaltung vermittelt werden muss. Sie sollte vielmehr wie selbstverständlich in das Prozessdenken integriert sein.
Wo wird die ETH Zürich in 20 Jahren bezüglich Nachhaltigkeit stehen?
Eichler:
Für die ETH Zürich sind klare Ziele formuliert. In 10 bis 15 Jahren
soll der direkte CO2-Ausstoss der ETH Zürich mindestens halbiert sein.
Ein weiteres Thema ist die Optimierung der Abwärmenutzung. Die Computer
fressen enorme Mengen Strom, die Abwärme kann aber kaum genutzt werden,
weil deren Temperatur zu tief ist. Entweder entwickelt man
Low-Power-Computer, die wenig Strom verbrauchen, oder man schafft es,
die Abwärme auf höherer Temperatur effizienter zu nutzen. Mit IBM
zusammen arbeiten wir an einem Forschungsprojekt zu diesem Thema.
Bratrich: Mein
Traum wäre, dass Nachhaltigkeit in 20 Jahren in Forschung und Lehre
selbstverständlich etabliert sein wird, so dass es keine speziellen
Programme mehr braucht wie heute.
Eichler: Man wird Nachhaltigkeit immer aktiv fördern müssen, weil es zu viele auf den eigenen Vorteil bedachte Menschen auf der Welt gibt. Wenn wir die Leute überzeugen und dazu bringen können, dass sie aus eigenem Antrieb nachhaltig handeln wollen, haben wir viel gewonnen. Vorbild zu sein ist deshalb sehr wichtig, auch für die ETH Zürich.